Leichtathleten versprechen «neun Tage Vollgas» bei WM
Budapest (dpa) – Eine Medaillenflut wie beim EM-Sommermärchen wird es für Deutschlands Leichtathleten bei der WM nicht geben, ein WM-Debakel wie vor einem Jahr soll sich aber auch nicht wiederholen.
Knapp zwölf Monate vor den Olympischen Spielen in Paris will das deutsche Team um Doppel-Europameisterin Gina Lückenkemper bei der WM in Budapest trotz hochkarätiger Ausfälle den Stimmungsumschwung durch die Heim-Titelkämpfe in München fortführen. «Ich habe unfassbar Bock auf diese Weltmeisterschaften», sagte Lückenkemper vor den am Samstag beginnenden Wettkämpfen.
Prominente DLV-Athleten fehlen
Etwa 2000 Athletinnen und Athleten aus mehr als 200 Ländern werden bis zum 27. August in 49 Wettbewerben ihre Weltbesten küren. Die deutschen Medaillenchancen sind gering – erst recht durch Ausfälle wie die von Weitsprung-Olympiasiegerin Malaika Mihambo, 5000-Meter-Europameisterin Konstanze Klosterhalfen oder dem EM-Zweiten im Stabhochsprung, Bo Kanda Lita Baehre. Man könne viele Leistungsträger «nicht einfach ersetzen, da sind nicht zehn hinten dran», sagte der neue Sportdirektor Jörg Bügner. «Aber wir werden neun Tage Vollgas geben.»
Die vergangene WM im US-Bundesstaat Oregon zu deutscher Nachtzeit blieb nach nur zwei Medaillen durch Gold von Mihambo und Bronze durch die Staffel um Lückenkemper kaum in Erinnerung. Mihambo ist nach einem Muskelfaserriss diesmal gar nicht dabei, die Staffel über 4 x 100 Meter muss sich nach Ausfällen neu sortieren. «Ein Staffel-Team, das Bock hat, kann aber auch schon mal über sich hinauswachsen», prognostizierte Lückenkemper, für die die Ausfälle anderer nichts an der eigenen Herangehensweise ändern.
«Ich gehe dahin, um meinen Job zu machen. Ich kann mich nicht hinstellen und Malaika noch im Weitsprung zu vertreten, weil eine würdige Vertretung wäre ich da definitiv nicht», sagte Lückenkemper. Ähnlich sieht es Hochsprung-Hoffnung Tobias Potye. «Ich fühle mich nicht in der Verantwortung, das Ruder für irgendwen hier rumzureißen. Dafür ist das viel zu individuell», sagte der EM-Zweite, der mit einer Medaille liebäugeln darf.
Furcht, dass die gute Leichtathletik-Stimmung vom Münchner EM-Coup mit 16 Medaillen durch die WM schnell wieder vorbei sein könnte, hegt Bügner nicht. «Angst ist kein guter Begleiter. Wir müssen uns den Herausforderungen stellen, die sind für alle gleich.» Und für die Gewinner sind sie auch lukrativ: Ein WM-Titel ist 70.000 Dollar wert.
Auf dem Weg zum ambitionierten Ziel, bis 2028 wieder zu den Top 5 der Welt zu gehören, ist die WM am Donauufer für den Deutschen Leichtathletik-Verband ein bedeutsamer Zwischenschritt. «Es ist ungeheuer wichtig, dass wir das erst mal alle wahrnehmen und verinnerlichen», sagte Cheftrainerin Annett Stein. Sie will eine erfolgreiche WM «nicht an Punkten und Medaillen festmachen», sagte sie. «Auch wenn ich überzeugt bin, dass wir Punkte und Medaillen verbuchen werden.»
Zehnkämpfer Kaul Medaillenkandidat
Doch wer soll diese Medaillen holen? Der frühere Zehnkampf-Weltmeister und aktuelle Europameister Niklas Kaul ist ebenso ein Kandidat wie der deutsche Rekordler Leo Neugebauer. «Ich will Spaß haben und die Atmosphäre genießen, das ist mein Hauptziel», sagte der in den USA trainierende Neugebauer. Kaul sieht bis zu zehn Medaillenkandidaten im Zehnkampf. «Ich gehe davon aus, dass es bis zum Schluss eng ist», sagte der Mainzer. Aussichtsreich sind auch die Chancen von Speerwurf-Europameister Julian Weber.
Kandidaten, die bei den Sommerspielen 2028 dann in Los Angeles für Topleistungen sorgen sollen, müssten von Budapest an auf der Weltbühne immer sichtbarer werden. «Klar ist es schade und die bekannten Gesichter fehlen schon. Aber wir haben auch viele Neue dabei, die sich in ein gutes Licht stellen können», sagte die Olympia-Zweite im Diskuswerfen, Kristin Pudenz. Sie und die Diskus-Kolleginnen zählen zum erweiterten Kreis der Medaillenkandidaten. «Die EM war super, aber man darf sich davon auch nicht zu sehr blenden lassen. Wir wollen auf Weltebene unsere Leistungen bringen», sagte die EM-Dritte Claudine Vita.
Das wollen in erneuter Abwesenheit von Sportlern aus Russland und Belarus, die wegen des andauernden Krieges gegen die Ukraine nicht dabei sein dürfen, auch die internationalen Topstars: Stabhochsprung-Weltrekordler Armand Duplantis (Schweden), Hürden-Olympiasieger Karsten Warholm (Norwegen), US-Supersprinter Noah Lyles oder Dreisprung-Königin Yulimar Rojas (Venezuela) möchten sich auf der Weltbühne ausgiebig feiern lassen.