Samstag, November 2, 2024
Turnte in Valencia erneut zu Gold: Darja Varfolomeev. Foto: Rolf Vennenbernd/dpa

Zur Gymnastik-Königin gereift: Varfolomeevs WM-Erfolg

Valencia (dpa) – Die Mundwinkel zuckten, der Gesichtsausdruck kündigte Tränen an: Unmittelbar nach der Schlusspose schienen Darja Varfolomeev die Emotionen zu überwältigen. Doch schnell hatte die 16-Jährige sich wieder im Griff und strahlte ebenso erleichtert wie glücklich.

Dank einer tadellosen Darbietung mit dem Ball hat die gebürtige Russin sich in Valencia zur Königin in der Rhythmischen Sportgymnastik gekrönt. Die Ausnahmeathletin aus Schmiden gewann nach viermal Gold in den Einzel-Entscheidungen bei den Weltmeisterschaften auch den prestigeträchtigen Titel im Mehrkampf und gilt nun als Favoritin für den Olympiasieg im kommenden Jahr in Paris. «Mit fünf Goldmedaillen habe ich niemals gerechnet, und der Mehrkampftitel bedeutet mir alles. Darum geht es auch bei den Olympischen Spielen», sagte Varfolomeev nach ihrem historischen Erfolg.

Raskina: «Ihre mentale Stärke ist derzeit einzigartig»

Der Turn-Weltverband schrieb von einer «Mehrkampf-Sensation», nachdem die Schülerin ihren Durchmarsch mit dem Titel in der einzigen olympischen Einzel-Disziplin und allen fünf möglichen Goldmedaillen perfekt gemacht hatte. «Diese Medaille ist wichtiger für mich als die Medaillen in den Gerätewettbewerben», sagte Varfolomeev, die mit zwölf Jahren und zunächst ohne Eltern und ohne die Sprache zu sprechen aus dem westsibirischen Barnaul nach Deutschland gekommen war.

Der Titel im Vierkampf mit Ball, Reifen, Band und Keulen «ist mein Traum», hatte sie vorher gesagt. Doch dessen am Ende doch noch souveräne Erfüllung mit 137,450 Punkten vor Titelverteidigerin Sofia Raffaeli aus Italien (135,700) und Daria Atamanov aus Israel (131,400) geriet zwischenzeitlich in Gefahr. Ausgerechnet in der Königsdisziplin hatte sie ihre zuvor gezeigte Lockerheit und Souveränität verloren – und prompt unterlief ihr mit dem Band ein Fehler. Nach der Hälfte des Wettkampfes lag Varfolomeev fast drei Punkte hinter Raffaeli. «Der letzte Tag ist immer der schwerste und ich bin wirklich froh, dass ich überlebt habe. Ich habe mich heute etwas schwach gefühlt, aber die Zuschauer haben mir geholfen, durchzukommen», gestand sie.

Bei den Übungen mit dem Reifen und abschließend mit dem Ball bewies der Schützling von Trainerin Yuliya Raskina ihre Qualitäten als Wettkämpferin und startete eine erfolgreiche Aufholjagd. Ihre Trainerin attestierte ihr Ehrgeiz und gewachsene Reife. Sie sei noch sehr jung, aber langsam wachse sie, sagte Raskina. «Letztes Jahr war sie noch ein Kind. Sie hat gespielt auf der Fläche. Es war nichts ernst. Langsam wird sie ernst, jetzt kommt Leistungssport, professioneller Sport», urteilte die Olympia-Zweite von 2000 in Sydney. «Ihre mentale Stärke ist derzeit einzigartig in diesem Feld. Meine allergrößte Hochachtung vor dieser Leistung», sagte die deutsche Teammanagerin Isabell Sawade.

Mit 16 bereits erfolgreichste deutsche Gymnastin

Als erste deutsche Mehrkampf-Weltmeisterin seit Carmen Rischer 1975 hat Darja Varfolomeev zugleich historisches erreicht. Mit nun sechsmal Gold, viermal Silber und einmal Bronze bei nur zwei Weltmeisterschaften ist sie die erfolgreichste deutsche Gymnastin. In Valencia gewann die 16-Jährige neben fünf Titeln gemeinsam mit Margarita Kolosov (Potsdam) sowie der Gruppe aus Anja Kosan (Berlin), Daniella Kromm und Alina Oganesyan (beide Schmiden), Hannah Vester (Oppau) und Emilia Wickert (Söflingen) wie im Vorjahr Silber in der Team-Wertung.

Die 19-jährige Kolosov, die im Mehrkampf mit 125,800 Punkten WM-Zwölfte wurde, sicherte dem Deutschen Turner-Bund (DTB) zudem den zweiten möglichen Olympia-Startplatz, nachdem Varfolomeev dies bereits als WM-Zweite im Mehrkampf 2022 geschafft hatte. Nach Angaben des DTB hat sich auch die Gruppe für Olympia qualifiziert. Der Weltverband hat dies jedoch nicht bestätigt. «Insgesamt lässt uns diese WM mit der Qualifikation der zweiten Einzel-Gymnastin und der Gruppe für die Olympischen Spiele und den großartigen Leistungen aller, aber vor allem von Dascha, sehr zufrieden nach Hause fahren», bilanzierte DTB-Sportdirektor Thomas Gutekunst.

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