«Bleibe, so lange ich kann»: Ukrainische Sportstars im Krieg
Seine Mutter hat er in Sicherheit gebracht, er selbst bleibt: Der ukrainische Ringer-Olympiasieger und Parlamentarier Schan Beleniuk will den Menschen in seiner Heimat Mut zusprechen – und hilft als einer von vielen aktiven oder ehemaligen Sportstars vor Ort in der Hauptstadt Kiew.
«Ich habe keine Angst. Auch wenn ich als Politiker womöglich noch gefährdeter bin als andere», sagte der Goldmedaillengewinner der vergangenen Olympischen Sommerspiele in Tokio der Deutschen Presse-Agentur. Er wechsle ständig seinen Aufenthaltsort. «Aber ich bleibe in Kiew, so lange ich kann. Es ist wichtig, dass wir den Menschen zeigen, dass wir für sie da sind, und nicht wegrennen. Wir müssen sie beschützen», sagte Beleniuk über den Krieg seit dem Beginn der russischen Invasion vor zwei Wochen.
Hunderttausende sind in den angegriffenen Städten in Not, mehr als eine Million Menschen sind aus der Ukraine geflüchtet und mindestens Hunderte Zivilisten wurden dem UN-Hochkommissariat für Menschenrechte (OHCHR) zufolge getötet. Die wahren Opferzahlen dürften laut OHCHR erheblich höher sein. Dem Fernsehsender «Welt» zeigte Beleniuk bei einem Interview eine von einer russischen Rakete zerstörte Sporthalle, in der er als Kind Basketball gespielt hat. «Ich fahre hier vorbei und denke: Das kann doch alles nicht wahr sein.»
Beleniuk, der in Kiew geborene Sohn eines Ruanders und einer Ukrainerin, sitzt für die Partei von Präsident Wolodymyr Selenskyj im Parlament. «Viele Menschen kennen mich und kommen mit ihren Bitten auf mich zu. Sie fragen nach Waffen, Medizin oder Nahrungsmitteln. Und ich versuche, sie an die entsprechenden Stellen weiterzuleiten», sagte der zweimalige Weltmeister, der in den vergangenen Jahren auch für mehrere deutsche Clubs gerungen hat. Auf seinem Instagram-Account informiert der 31-Jährige über die aktuelle Lage und kritisiert die Invasoren. Er habe auch vor Polizeikräften gesprochen, «um ihnen Mut zuzusprechen und ihnen unsere Dankbarkeit zu zeigen».
Sporler greifen auch zu den Waffen
Wie Beleniuk versuchen viele aktive und frühere Sportler, in ihrem Land nach der russischen Invasion zu helfen – einige greifen auch zur Waffe. Ex-Tennisprofi Sergej Stachowski meldete sich freiwillig als Reservist. «Ich habe keine militärische Erfahrung, aber ich habe private Erfahrungen mit einer Waffe», sagte er Sky Sports.
Der 36 Jahre alte Vater dreier junger Kinder, der vor wenigen Wochen noch bei den Australian Open gespielt hat, ging zurück in die Ukraine. «Ich wünsche keinem Vater auf der Welt, dass er diese Entscheidung treffen muss», sagte er in einem Eurosport-Interview. Eigentlich habe er nach dem Ende seiner Karriere das Leben mit seiner Familie genießen wollen. «Aber stattdessen bin ich hier in Kiew mit einer Waffe und versuche zu zeigen, dass Russland das Falsche tut.»
Bei Instagram postete Stachowski ein Foto von sich mit seiner Familie und schrieb dazu: «Wir alle kämpfen für die Zukunft unserer Kinder … für eine Welt mit Zukunft.» Sein serbischer Ex-Kollege Novak Djokovic habe ihm Hilfe für die Ukraine angeboten, finanzieller oder anderer Art, teilte Stachowski dort auch mit. Der deutsche Biathlet Erik Lesser überließ ihm in einer Solidaritätsaktion auf Instagram seinen Kanal für 24 Stunden. «Das ist mein Kiew. Wie ihr seht, sind dies keine Militärgebäude. Hier töten russische Raketen Zivilisten», schrieb Stachowski zu einem Bild eines zerstörten Hochhauses.
«Schließen Sie den Himmel über der Ukraine! Retten Sie unschuldige Leben», appellierte er auf seinem eigenen Account an die Nato und für die Einrichtung einer Flugverbotszone. Dazu sprach er in einem Video unter anderen zusammen mit Beleniuk, Fußballtrainer und Ex-Nationalspieler Sergej Rebrow, Box-Schwergewichtsweltmeister Alexander Usyk und Abwehrspieler Oleksandr Sintschenko vom englischen Fußball-Meister Manchester City.
Sportstars kämpfen für ihre Heimat
Es sind nur einige von vielen Beispielen: Ex-Biathlon-Weltmeister Dmytro Pidrutschnji verteidigt nur wenige Wochen nach seiner Teilnahme an den Olympischen Winterspielen in Peking plötzlich sein Land. Die jahrelang den Profi-Boxsport prägenden Brüder Wladimir und Witali Klitschko kündigten an, in der Ukraine bleiben und gegen die russischen Truppen kämpfen zu wollen. Ähnlich äußerten sich Usyk und Ex-Leichtgewichtschampion Wassyl Lomatschenko. Jurij Wernydub, der als Trainer mit seinem Fußball-Team Sheriff Tiraspol aus Moldau vergangenen September noch sensationell in der Champions League bei Real Madrid gewann, hat sich ebenfalls freiwillig gemeldet.
Einer, der den russischen Angriffskrieg noch nicht verurteilt hat, ist der ukrainische Fußball-Rekordnationalspieler Anatolij Tymoschtschuk. Der verärgerte Verband droht dem früheren Profi des FC Bayern München mit dem Entzug seiner Trainerlizenz und von Ehrungen. Der 42-jährige Tymoschtschuk ist Assistenzcoach des russischen Meisters Zenit St. Petersburg aus der Heimatstadt von Kremlchef Wladimir Putin.
Witali Klitschko, Kiews Bürgermeister, rief die Einwohner angesichts der heranrückenden russischen Truppen derweil erneut zum Durchhalten auf. «Die Hauptstadt bereitet sich auf die Verteidigung vor», sagte er. Bruder Wladimir sprach vom «größten Kampf seines Lebens.» Man spüre in der Ukraine die Unterstützung aus Deutschland und anderen Teilen der Welt, sagte Beleniuk. Aber sie dürfe nicht nachlassen. «Wir sind stark. Aber wir wissen nicht, wie lange noch.»