Freitag, Oktober 4, 2024
Profi-Rollstuhlbasketballerin Vanessa Erskine spielt in der Liga in einem Männer-Team. Foto: Moritz Frankenberg/dpa

Paralympics bei den Frauen, Bundesliga im Männer-Team

Paris/Hannover (dpa) – Es ist eine der außergewöhnlichsten Geschichten der Paralympics. 2016 gewann die Rollstuhlbasketballerin Vanessa Erskine von Hannover United die Goldmedaille mit den USA – und das im Finale gegen Deutschland. Mittlerweile spielt die 30-Jährige für das deutsche Team und trifft bei den heute beginnenden Spielen in Paris gleich in der ersten Partie auf die Amerikanerinnen (Freitag/16.00 Uhr).

«Ich bin sehr stolz, Deutschland zu repräsentieren und für Deutschland zu spielen», sagt Erskine der Deutschen Presse-Agentur. «Und ich hoffe, dieses Mal auf der anderen Seite der Geschichte zu sein und gegen die USA zu gewinnen.»

Das wäre dann aber längst nicht die erste Besonderheit ihrer Karriere. Denn während die Korbjägerin bei den Paralympischen Spielen für die Nationalmannschaft der Frauen spielt, war sie in ihrem Bundesliga-Team in der gerade abgelaufenen Saison die einzige Frau unter Männern.

Gemischte Teams auf Vereinsebene – das ist im Rollstuhlbasketball der Alltag. In den vergangenen sieben Jahren schaffte Erskine mit Hannover United den Erstliga-Aufstieg und gewann zwei verschiedene Europapokal-Wettbewerbe. Für ihren Club-Trainer Martin Kluck spielt das Geschlecht keine große Rolle. «Jeder will irgendwie diese Kugel da oben reinwerfen», sagt er.

Geboren in den USA

Die gebürtige Amerikanerin Erskine ist im Mittleren Westen der USA aufgewachsen. Seit einem Unfall 2011 ist sie querschnittsgelähmt und begann ein Jahr später an der Universität mit ihrem Sport. 2015 zog sie nach Deutschland, um professionell Rollstuhlbasketball zu spielen. «Die Bundesliga ist wirklich bekannt als die stärkste Liga der Welt», sagt sie.

Seit 2017 spielte die Para-Athletin für Hannover United. In der Zwischenzeit gab es noch eine weitere Frau im Team. In der abgelaufenen Saison war Erskine jedoch die einzige.

«Ich merke das eigentlich gar nicht so», sagt sie zu diesem Thema. Ihre Teammitglieder seien wie Brüder für sie. Nur ihre offene Art habe anfangs den einen oder anderen Mitspieler überrascht. «Wenn es mir direkt vor meiner Periode nicht gut geht, sage ich den Jungs Bescheid», erzählt die 30-Jährige. «Erst mal waren einige schon schockiert.»

Frauen- oder Männer-Team? «Beides macht richtig Spaß»

Nach Angaben des Deutschen Rollstuhlsportverbandes (DRS) spielen in den zehn Teams der Bundesliga im Schnitt ein bis zwei Sportlerinnen pro Verein. Mit fünf Spielerinnen waren die Doneck Dolphins Trier in der gerade abgelaufenen Saison das Team mit den meisten Frauen.

Für Erskines Teamkollegen Jan Haller ist es nicht ungewöhnlich, in Hannover mit einer Frau zusammenzuspielen. «Das ist ja ein Team», sagt der Kapitän der deutschen Nationalmannschaft. Dort seien Männer und Frauen getrennt – im Verein aber nicht: «Das ist schon immer so gewesen.» Hannovers Coach Martin Kluck sagt aus Erfahrung, «dass viele gute Spielerinnen das Spiel einfach unheimlich gut verstehen».

Erskine selbst gefällt es, mal mit den Männern und mal auch als Teil einer reinen Damen-Mannschaft auf dem Platz zu sein: «Beides macht mir richtig Spaß.»

Sie sieht aber auch die Unterschiede. So überlegten die Männer während eines Spiels manchmal deutlich weniger als ihre Teamkolleginnen: «Platz, Ball, Korb – und alles, was dazwischen passiert, weiß man nicht wirklich», sagt sie mit einem Schmunzeln. 

Wunsch nach eigener Frauen-Liga

In Deutschland gibt es als reines Frauen-Turnier nur die deutschen Damen-Rollstuhlbasketball-Meisterschaften. Dort treten an je einem Wochenende im Jahr die Landesverbände des Deutschen Behindertensportverbandes gegeneinander an.

«Ich finde es richtig cool, dass Frauen die Möglichkeit haben, mit den Männern in der Bundesliga zu spielen», sagt Erskine. Doch ihr fehlt ganz klar ein Ligabetrieb für Frauen. «Ich finde das einfach schade. Es gibt so viele Frauen. Wo sind die denn alle? Warum haben wir die Möglichkeit nicht?», sagt die Wahl-Hannoveranerin.

Der DRS würde diese Idee nach eigenen Angaben gern umsetzen. Allerdings fehle dafür der Nachwuchs, heißt es auf dpa-Anfrage. An den US-Universitäten gibt es eine eigene Frauenliga, sagt Erskine. Jedoch kann man dorthin nicht zurückkehren, wenn man den Sport einmal professionell betrieben hat.

Hochzeit mit Teamkollegen

Trotz ihrer Erfolge in der Bundesliga wird Erskine nach den Paralympics nicht zu Hannover United zurückkehren. Der Mannschaft werde sie fehlen, sagt Trainer Kluck: «Vanessa ist eine riesige Stütze über sieben Jahre gewesen.»

Wie genau es für sie weitergeht, ist unklar. Zwar hat sie bereits Angebote von anderen Clubs auch aus Frankreich und Italien erhalten, sagt Erskine. Allerdings will sie erst einmal ihr Privatleben in den Vordergrund stellen: «Ich plane nächstes Jahr eine Hochzeit. Es gibt schon sehr viel zu tun.» Ihr Verlobter ist ihr Teamkollege und United-Kapitän Jan Sadler.

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