Frauen sind im Schach stark unterrepräsentiert. Ein offener Brief befeuert die Sexismus-Debatte. Foto: Matthias Bein/dpa

Kaum Frauen in der Spitze: Sexismus-Debatte bewegt

Hamburg (dpa) – Ein offener Brief mit Sexismus-Vorwürfen zahlreicher Schachspielerinnen wirft einen tiefen Schatten auf das Spiel der Könige.

«Zutiefst bewegt» gab sich der Weltverband Fide von den Zeilen, in denen «Belästigungen und Übergriffe» als einer der Hauptgründe geschildert werden, «warum Frauen und junge Mädchen, insbesondere im Teenageralter, mit dem Schachspiel aufhören». 14 französische Top-Schachspielerinnen hatten den Brief bereits vor einigen Wochen aufgesetzt, unter den inzwischen mehr als 100 Unterzeichnerinnen finden sich auch eine Reihe deutscher Namen.

«Ich kenne fast keine Frau im Schach, die keine Erfahrungen mit Sexismus gemacht hat», sagte Nationalspielerin Annmarie Mütsch jüngst dem «Spiegel». Gibt es vor allem deshalb so wenig Spielerinnen? Beim Schach, bei dem die Dame die mächtigste Figur ist, sind Frauen an der Weltspitze eine absolute Ausnahme und auch im Breitensport klar in der Unterzahl.

Weltverband nimmt Vorwürfe ernst

«In der Grundschule ist das Verhältnis von Mädchen zu Jungs bei ungefähr 30:70, danach geht es in Richtung 10:90», sagt Nachwuchs-Bundestrainer Bernd Vökler der Deutschen Presse-Agentur. Ist sexistisches Verhalten männlicher Schachspieler die wichtigste Ursache dafür? «Das würde ich so nicht unterschreiben, auch wenn es sicherlich ein Grund sein kann», sagt Nationalspielerin Josefine Heinemann.

Die 25-Jährige sagt, sie habe «im Prinzip keine negativen Erfahrungen gemacht». Online sehe sie hingegen «natürlich sehr viele dumme Kommentare, aber das scheint mir eher ein Online-Phänomen zu sein als ein Schachproblem.»

Heinemann, die den Titel der Großmeisterin der Frauen trägt, hält die neue Aufmerksamkeit für wichtig und stellt gleichzeitig klar: «Bei Turnieren hatte ich noch nie das Gefühl, dass ich niedriger gestellt war als irgendein Mann.»

Der Weltverband Fide versicherte, die Vorwürfe ernst zu nehmen. «Selbst wenn nur eine Frau Missbrauch erlebt, ist es eine zu viel», teilte die Fide mit und will mit einer Schutzrichtlinie Frauen helfen, «damit sie sich sicher und selbstbewusst fühlen». Fehlverhalten solle bei der Ethik- und Disziplinarkommission angezeigt werden.

«Es wäre schön, wenn jetzt mehr Frauen merken würden, dass sie darüber reden können, was ihnen passiert ist, und dass sie sich damit nicht unwohl fühlen müsse», sagte Nationalspielerin Mütsch.

Vökler kritisiert Geschlechtertrennung im Nachwuchs

Dass Frauen es in die Weltspitze des Schachs schaffen, ist äußerst selten. Die zehn besten Frauen der Welt befinden sich in einem geschlechterübergreifenden Ranking «bei den ersten 600 bis 700», sagt Nationalspielerin Heinemann. Einzig der ungarischen Schach-Großmeisterin Judit Polgár war es gelungen, unter die Top Ten der Gesamtweltrangliste zu kommen.

Weshalb Frauen so selten in die absolute Spitze kommen, beschäftigt die Schachwelt seit Langem. Ein klares Ergebnis gibt es nicht, nur Theorien. «Da sollte unbedingt Forschung geschehen», sagt Heinemann.

Schon in der Schule erzielten Jungen oft bessere Leistungen als Mädchen, so Nachwuchs-Bundestrainer Vökler. «Ich kann nicht genau sagen, woran es liegt, aber es ist leider wirklich so. Dadurch, dass sie in Schul-AGs gegeneinander spielen, fällt das schon so früh auf.» Deshalb werde dort bereits oft getrennt gespielt, was Vökler nicht gut findet: «Das zementiert das Bild, dass hier die guten Jungs und dort die schlechten Mädchen spielen.»

Heinemann über Bezahlung: «keine Chance, vom Schachspielen zu leben»

Für die hohe Zahl an Schach-Abbrecherinnen unter den Mädchen nennt Vökler drei Gründe: «Mädchen mögen es gerne, wenn sie unter sich etwas machen können. Sobald es im Schach eine Art unterkritische Masse gibt, also wenn zu viele aufhören, dann hören die drei, vier engagierten Spielerinnen aus diesem Grund auch auf.» Zudem würden Jungs das direkte Duell gegeneinander mehr mögen, meint Vökler. Als dritten Grund vermutet der 60-Jährige zu wenige Trainerinnen und damit auch fehlende Vorbilder.

Heinemann sieht Schach für viele Frauen auch als weniger attraktiv an: «Ich glaube, dass gerade im Erwachsenenbereich das Schachformat nicht optimal für Frauen ist. Wir spielen viel klassisches Schach und da dauert eine Partie so an die fünf Stunden und ein Turnier neun Tage», sagte Heinemann. «Da sich auch heute noch weltweit gesehen primär die Frauen um Kinder kümmern, ist dieses Format einfach nicht gut.»

Auch die schlechtere Bezahlung sieht Heinemann als Faktor. «Wenn ich nicht unter der Brücke wohnen möchte, habe ich keine Chance, vom Schachspielen zu leben», sagte Heinemann. Sie gibt deshalb Schachunterricht und Kurse für Schach-Websites und hat einen YouTube-Kanal. Die deutschen Herren-Nationalspieler könnten vom Schach «durchaus besser leben», sagte Heinemann.

Die reine Frauenkategorie, bei der Männer nicht mitspielen dürfen, sei nur «semi akzeptiert», sagte Heinemann. «Da gibt es auch nicht so viele Turniere, wie bei den Männern. Dann kann man damit auch logischerweise viel weniger Geld verdienen.»