Kathrin Marchand startet nach Schlaganfall zweite Karriere
Düsseldorf (dpa) – In ihrem schlimmsten Moment ist Kathrin Marchand schnell bewusst, was passiert. Aber sie will es nicht wahrhaben. «Von einem auf den anderen Moment knipst dir einer das Licht aus», schildert die 31-Jährige ihren Schlaganfall im September 2021.
Ihre linke Körperhälfte ist plötzlich taub, das Sichtfeld stark eingeschränkt und sie hat Orientierungs- und Verständnisschwierigkeiten. Marchand ist Ärztin und hat in einer Notaufnahme gearbeitet, sie kennt die Symptome eines Schlaganfalls. Doch zunächst redet sie sich sein, sie sei unterzuckert, habe hyperventiliert oder einen eingeklemmten Nerv. «Aber mir war innerlich klar, dass das Ausflüchte sind», sagt sie.
Die Einschränkungen sind für Marchand auch noch rund ein Jahr später immens. «Der Schlaganfall hat mich echt dumm gemacht», sagt sie: «So fühlt man sich jedenfalls manchmal.» Die ehemalige Leistungssportlerin musste einiges wieder lernen. Und vor allem musste sie lernen, kürzer zu treten.
Ein Zufall führt sie zurück zum Rudern
Bis 2016 rudert sie für den RTHC Leverkusen, fährt zu den Olympischen Spielen in London und Rio de Janeiro. Anschließend beendet sie ihre Karriere, um unter anderem das Medizinstudium abzuschließen. Sie war ein sehr aktiver Mensch, sagt sie, heute braucht sie ihre Auszeiten. Doch die ehemalige Ruderin will sich von den Folgen des Schlaganfalls nicht unterkriegen lassen. Dass sie sogar den Weg zurück zum Sport findet, ist jedoch eher ein Zufall.
Bei einer Autofahrt im März hört sie im Radio eine Liveübertragung der Paralympischen Winterspiele in Peking. Schnell ist ihr Interesse am Para-Sport geweckt. Zumal es dort auch Rudern gibt. «Ich wollte einfach wissen, was man für Einschränkungen haben muss», sagt sie: «Reicht das, was ich habe, aus?» Eine erste Untersuchung im April zeigt, dass ihre Sehschwäche nicht genügt. Doch ihre linksseitige Muskelschwäche führt Mitte August letztlich zur Klassifizierung.
Plötzlich im EM-Aufgebot des Mixed-Vierers
Einen Tag später beginnen die Ruder-Europameisterschaften in München und Marchand ist plötzlich mit dabei. Durch zwei Krankheitsfälle rutscht sie ins Aufgebot des Mixed-Vierers. Wie man Rennen fährt, weiß sie von früher. Was ihr Körper nun leisten kann, nicht. «Ich hatte Angst, dass ich den Griff nicht mehr festhalten kann», beschreibt Marchand ihre Eindrücke vom ersten großen Rennen nach sechs Jahren Ruder-Abstinenz. «Ich habe gemerkt, dass die linke Seite irgendwann nicht mehr aktiv mitmacht und die rechte mehr gefordert ist.» Doch fast ohne Training fährt sie mit dem Vierer zu einer Bronzemedaille.
Nun sitzt sie nach dem eigentlichen Karriereende und dem Schicksalsschlag Schlaganfall wieder im Boot und hat auch sportliche Zukunftspläne. «Ich würde gerne zu den Paralympics fahren. Wir haben das Potenzial, denke ich.» Aber der Spaß steht trotz des hohen Niveaus im Para-Sport für die Kölnerin im Vordergrund: «Wenn man es mal so sieht: Ich habe das Glück, mit weniger Einsatz auf demselben Niveau wie früher zu rudern. Ich wäre zwar lieber gesund, aber es hat auch schöne Seiten mit sich gebracht.»