Ricardo Pietreczko gibt am Dienstagabend sein WM-Debüt. Foto: Bernd Thissen/dpa

Publikumsproblem: Pietreczko im Ally Pally unter Beobachtung

London (dpa) – Der pikanten Darts-Prüfung im Alexandra Palace begegnet Ricardo Pietreczko mit maximaler Gelassenheit.

«Ich bereite mich mental sowieso überhaupt nie vor. Ich bin der festen Überzeugung, dass ich mental so stark bin, dass ich so etwas auch nicht brauche», sagte Senkrechtstarter Pietreczko, genannt Pikachu, vor seinem WM-Debüt in London. Wer gesehen hat, wie sehr das Publikum und die äußeren Umstände dem 29-Jährigen mit dem Pokemon-Spitznamen zuletzt auf der großen Bühne zu schaffen machten, dürfte über diese Aussage staunen.

Direkt das erste Spiel hat es für Pietreczko in sich, nicht nur sportlich. Er trifft am Dienstagabend (22.00 Uhr/Sport1 und DAZN) auf die Japanerin Mikuru Suzuki. Aus der Erfahrung heraus wird im unmittelbaren Duell Mann gegen Frau gerne mal der Mann ausgepfiffen oder ausgebuht. Dass es in der Konstellation ausgerechnet Pikachu trifft, ist brisant.

Van Barneveld gibt Rat

Beim Grand Slam of Darts wurde Pietreczko jüngst ausgepfiffen, damals im Duell mit der Engländerin Beau Greaves. Der Deutsche ließ sich davon provozieren und interagierte auffällig gereizt mit dem Publikum. Diesmal hat Pietreczko einen anderen Plan: ignorieren. Er sprach im Interview der Deutschen Presse-Agentur von «einer Boykottandrohung, mit dem Publikum zu interagieren», falls ihn erneut Zuschauer auspfeifen sollten. «Wenn man mich nicht sehen will, verstehe ich nicht, warum ich so etwas Respektloses akzeptieren sollte. Es ist ein Unding, weil es einfach respektlos ist.»

Der fünfmalige Weltmeister Raymond van Barneveld sieht diese Verhaltensweise kritisch und sprach direkt eine Warnung an den Deutschen aus. «Ein Tipp an Pietreczko: Er ist ein feiner Kerl, aber er muss noch viel lernen. Denn sonst kann es passieren, dass er plötzlich regelmäßig ausgebuht wird. So erging es Mervyn King in der Vergangenheit und auch Gerwyn Price. Wenn du die Zuschauer schlecht behandelst, behandeln sie dich genauso», sagte der Niederländer vor WM-Beginn in einem Interview der «Süddeutschen Zeitung».

Drei Ausbildungen, jetzt Darts-Profi

Dabei überlagert das Publikumsproblem, dass Pietreczko mit großartigen Referenzen zu seiner ersten WM reist. Im Oktober gewann er als erst zweiter deutscher Spieler überhaupt ein European-Tour-Turnier. Die internationale Konkurrenz um Michael van Gerwen und Peter Wright schätzt den Newcomer auch deshalb, weil sie selbst schon von Pietreczko und dessen Abgezocktheit besiegt wurden.

Pietreczko hat einen besonderen Werdegang hinter sich. Er brach Ausbildungen als Kellner und Briefträger ab, weil die Arbeitszeiten mit den sportlichen Terminen kollidierten. Dann vollendete er eine Lehre zum Maler und Lackierer, doch auch die dürfte er in den kommenden Jahren eher nicht brauchen. «Ich sehe mich so lange Darts spielen, bis ich nicht mehr stehen kann», sagte Pietreczko. Alleine in diesem Jahr hat er umgerechnet 135.000 Euro an Preisgeldern erspielt, Tendenz steigend.

Der Spitzname Pikachu resultiert aus einem Missverständnis in einer lauten Halle, in der Pietreczko seinen Nachnamen sagte und der Zuhörer Pikachu verstand. Seither kultiviert der Profi das Image mit diesem Spitznamen. Auch in der deutschen Szene gibt es Anerkennung für den etwas anderen Neuling. «Er ist ein bisschen durchgedreht, wenn man das so sagen kann. Er ist ein netter und charmanter Typ», sagte Martin Schindler über Pietreczko. Sein Ziel für die WM hat dieser klar formuliert: der Titel.