«Cool»: Mamas zu Olympia – «Thema wird immer größer»
Paris (dpa) – Wenn Angelique Kerber und Gesa Felicitas Krause in Paris um ihre Olympia-Ziele kämpfen, sind Liana und Lola in ihren Herzen dabei. Die dreimalige Grand-Slam-Siegerin und die zweimalige Hindernis-Europameisterin gehen bei den Sommerspielen erstmals als Mütter an den Start. Sie haben damit schon einen bemerkenswerten Weg gemeistert: Die Rückkehr in den Leistungssport. Den Olympiasiegerinnen Jessica von Bredow-Werndl (Dressur) und Laura Ludwig (Beachvolleyball) glückte dieses Kunststück gar schon zweimal.
«Tennis ist für mich schon mein Leben, deshalb bin ich auch zurückgekommen, weil ich es liebe, Tennis zu spielen – und diese Leidenschaft für den Sport einfach so groß ist», sagte die dreimalige Grand-Slam-Siegerin Kerber, die vor rund anderthalb Jahren Tochter Liana zur Welt brachte. Nach Silber 2016 will sie in Frankreich auch als Mutter erfolgreich sein.
«Total schöne Reise»
Krause, die noch mit Baby-Bauch auf die Laufstrecke ging, wollte ebenfalls unbedingt zurück. Wenngleich der Weg zum Comeback für sie «auch ein Experiment» war. Wenige Monate nach Liana kam Lola auf die Welt – und seitdem begleitet die Leichtathletin eine Erkenntnis, die auch Nicht-Leistungssportler-Mamas nur zu gut kennen.
«Man lernt mit dem Muttersein, auf Knopfdruck zu funktionieren», sagte Krause der Deutschen Presse-Agentur über den Wechsel von Kinderbetreuung und Wettkampfmodus. Über allem steht dabei für die EM-Zweite der Titelkämpfe Anfang Juni in Rom die «Mutterliebe – und das ist einfach eine total schöne Reise.»
Die Entscheidung, die Karriere für mindestens ein Jahr zu unterbrechen und ein Kind zu bekommen, vielleicht sogar auf dem Höhepunkt der Laufbahn, ist schwierig. Die Frage um die Karrierefortsetzung – und damit auch die um Verträge, Kaderstatus oder Sponsoren – treibt viele um. Nicht jede Mutter hat ein üppiges Preisgeld wie Kerber in der Hinterhand.
Doppel-Olympiasiegerin «zieht den Hut»
«Vor Sportlerinnen, die während ihrer Karriere ein Kind bekommen, ziehe ich den Hut. Es ist cool, dass sich immer mehr Frauen diesen Schritt zutrauen», sagte Doppel-Olympiasiegerin Britta Steffen der Deutschen Presse-Agentur. Für die mittlerweile zweifache Mutter kam ein Kind während der Karriere nie infrage. «Ich wäre da immer hin- und hergerissen gewesen», sagte die frühere Weltklasseschwimmerin.
Waren die Olympia-Mütter einst die viel bestaunte Ausnahme, kämpfen nun immer mehr Mamas um Medaillen. «Das Thema wird immer größer. Es gibt immer mehr Frauen, die ihre Karriere nicht beenden wollen, um ein Kind zu bekommen. Einfach ist die Entscheidung nicht, weil sie mit Risiken verbunden ist», erklärte Expertin Nina Ferrari von der Deutschen Sporthochschule in Köln.
Es kommt auf die Sportart an
«Es ist ja nie gesagt, dass eine Schwangerschaft normal verläuft, und auch jede Geburt ist anders», führte die Sportwissenschaftlerin aus. Bei der Mutter-Frage kommt es zudem auf die Sportart an. «Im Turnen, wo die Sportlerinnen oft sehr jung sind und das Alter ein limitierender Faktor ist, stellt sich die Frage anders als etwa im Rodeln, Bob oder Tennis.»
Auf ein exemplarisches Return-to-Sport-Protokoll kann man bei der Vielfalt der Sportarten und erst recht wegen der unterschiedlichen Geburten nicht zurückgreifen. «Da geht es um sehr individuelle Themen, und es gibt keine Richtlinie», sagte Ferrari.
Oft Tabu-Thema: Inkontinenz
Wichtig: Der Beckenboden muss entsprechend aufgebaut werden. Das Tabu-Thema Inkontinenz, vielleicht auch erst in späteren Jahren, darf nicht ausgeblendet werden. «Ich habe mir auch viele Gedanken gemacht und großen Respekt gehabt», sagte Krause in dem Podcast Blut, Schweiß & Training. «Falscher Ehrgeiz hat keinen Platz.» Früh band sie aber das Laufen wieder in ihren Alltag ein. Beachvolleyballerin Ludwig verzichtete länger auf Schnelligkeitstraining auf hartem Boden, «weil ich meinen Beckenboden schonen wollte».
Pluspunkte kann frühzeitige Aktivität bringen. «Für junge Mütter bringt das Training den Vorteil mit, dass sie weniger anfällig für Stimmungsschwankungen oder den Babyblues sind», sagte Psychologin Marion Sulprizio. Aber es sei wichtig, auf den Körper zu achten; und die Erholung sei eben eine individuelle Sache.
Ohne Umfeld geht es nicht
Allgemeingültig ist dagegen für das Comeback: Ohne ein funktionierendes Umfeld geht’s nicht, nach der Geburt ist ein gutes Team gefragt. Wichtig sind engmaschige gynäkologische Untersuchungen, Physiotherapeuten müssen eingebunden werden, eine gute Hebamme am Anfang hilft sehr. Ebenso wie ein einfühlsamer Trainer.
«Es ist das eine, sich zu sagen, ich kann es schaffen, als Sportlerin ein Kind zu bekommen, ich bin motiviert. Auf der anderen Seite muss man die neue Situation planen und organisieren», sagt Sulprizio. «Dafür braucht man ein Team, einen Partner, der sich einbringt, Familienangehörige wie die Oma oder eine Nanny. Vielen Sportlerinnen fehlt dieses Umfeld – oder auch das Geld, weil das alles auch finanziert werden muss.»
Ludwig mit Momenten zum «Heulen»
Bei Ludwig war der Spagat zwischen Sport und Familie so schwierig, dass ihr Mann Imornefe Bowes irgendwann nicht mehr ihr Trainer sein konnte. «Es gab Momente, in denen ich nur noch heulen konnte, weil ich den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr gesehen habe. Als mein Mann noch mein Cheftrainer war, waren wir beide zur selben Zeit unterwegs», sagte die 38-Jährige Anfang des Jahres dem «Spiegel».
«Teo ist häufiger zu den Turnieren mitgereist, dafür war Lenny zu klein. Ich war mit den Gedanken immer bei ihnen und hatte das Gefühl, meine Familie zu zerreißen. Ich bin niemandem mehr gerecht geworden», sagte die erfolgreichste deutsche Beachvolleyballspielerin. Bowes bleibt daher inzwischen bei den beiden Jungs in Hamburg. Neuer Trainer wurde Anfang des Jahres der Österreicher Simon Nausch.