Die deutsche Fechterin Anne Sauer ist so gut wie noch nie in eine Saison gestartet. Foto: Marius Becker/dpa

Bulgarien statt Polen: Eine EM zwischen Politik und Sport

Berlin (dpa) – Anne Sauer nimmt es, wie es kommt. Auch von der plötzlichen Verlegung der Einzel-Europameisterschaft der Fechterinnen und Fechter möchte sich die 32-Jährige nicht aus der Bahn werfen lassen.

«Es gibt jede Woche Änderungen wegen der Situation mit den Russen und Belarussen. Ich lasse mich davon nicht ablenken. Ich kann ja nix dran ändern», sagt die Florett-Spezialistin. «Ich fahre zu Wettkämpfen, egal wo und wann die sind. Und da will ich mein Bestes geben.» 

Plötzlich geht es nach Bulgarien statt nach Polen. «Dieser Vorgang ist sicherlich einzigartig im Weltsport, im olympischen Sport. Eine Einzel-Europameisterschaft als Olympia-Qualifikation erst drei Wochen vorher zu verlegen und neu anzusetzen, ist eine schwierige Situation für uns als Verband, für die Athleten und für die Trainer», sagt Tobias Kirch, der neue Fecht-Sportdirektor. Die Verlegung ist für den deutschen Fechterbund auch ein finanzieller Kraftakt: rund 40.000 Euro werden fällig – allein die Flüge schlagen mit 25.000 Euro zu Buche.

Anweisung des Weltverbandes

Die Neuansetzung der Einzel-EM in Bulgarien erfolgte auf Anweisung des Weltverbandes FIE, weil die russischen und belarussischen Athletinnen und Athleten angesichts des Angriffskrieges gegen die Ukraine nicht zu den Europaspielen nach Polen (21. Juni bis 2. Juli) einreisen dürfen. Man tue alles, damit Russen und Belarussen teilnehmen können, «aber man beachtet gar nicht, was es für den gesamten Sport und die ukrainischen und die Mehrzahl der Athletinnen und Athleten weltweit bedeutet», sagt Kirch. «Es ist aus meiner Sicht keine gute Situation und ich sehe die Regelung sehr kritisch. Seit der Entscheidung, die Russen und Belarussen nicht zuzulassen, hat sich im Grunde nichts geändert in der Welt. Der Krieg ist noch schlimmer geworden.»

Praktisch aber spielen die Russen im Fechtsport momentan keine Rolle. «So sehr wie man zuerst die FIE-Entscheidung, Russen und Belarussen wieder teilnehmen zu lassen, kritisiert hat, so strikt hat man jetzt die Regelung und Prüfung des Militärbezugs der russischen und belarussischen Athleten umgesetzt», sagt Kirch. «Man muss sagen, dass ein Großteil der Topathleten der Russen nicht startberechtigt sind.» 

Die FIE – lange vom russischen Oligarchen Alischer Usmanow geführt und finanziert – musste wie die anderen Weltverbände entscheiden und begutachten, ob die IOC-Kriterien bei der Athleten-Prüfung erfüllt werden. Zu den Bedingungen zählen strikte Neutralität, die Einhaltung des Anti-Doping-Codes und der Nachweis, den Krieg nicht aktiv zu unterstützen. Wer dem Militär angehört, soll ebenso ausgeschlossen werden wie Mannschaften. 

Rückkehr-Bedingungen für russische Sportler eine «Farce»

Die Olympiasiegerinnen Sofija Welikaja, eine für «militärische Tapferkeit» ausgezeichnete Majorin der Streitkräfte, Jana Jegorjan und Sofija Posdnjakowa wurden nicht registriert. Die Russen haben angekündigt, bis auf Weiteres nicht an internationalen Wettkämpfen teilnehmen. Stanislaw Posdnjakow, der Chef des russischen Olympia-Komitees, hatte erklärte, dass die Rückkehr-Bedingungen für russische Sportler eine «Farce» seien.  

Deutlich mehr Olympia-Qualifikationspunkte als bei einem normalen Weltcup gibt es von Freitag bis Sonntag bei der Einzel-EM in Plowdiw. Die für den DFC Düsseldorf auf der Planche stehende Anne Sauer hat sich im Paris-Rennen mit einem Grand-Prix-Sieg in China, einem zweiten Platz beim Weltcup in Georgien mit dem knappen Viertelfinalerfolg über Olympiasiegerin Lee Kiefer (USA) gut positioniert. «Der Weg zu Olympia ist aber noch weit. Die Qualifikation geht noch bis nächstes Jahr im April. Ein paar Punkte brauche ich auf jeden Fall noch», sagt Sauer. Gut im Rennen liegt auch Leonie Ebert, die amtierende Europameisterin. 

Chancen im Florett

«Im Florett haben wir sicherlich eine andere, eine sehr gute Voraussetzung, um gute Ergebnisse zu erzielen und eine Chance auf die Olympia-Qualifikation zu haben, als in den anderen Disziplinen. Da sind teilweise die Athletinnen und Athleten noch sehr jung, verfügen noch nicht über die dementsprechende Erfahrung und gehören einfach noch nicht zur Weltspitze», sagt Sportdirektor Kirch.

Nicht alle Sportler konnten der FIE-Anweisung folgen. So wird etwa der für die Europaspiele nominierte Degen-Fechter Richard Schmidt in Plowdiw fehlen. Für den WM-Dritten von 2017 in Leipzig geht das zweite Staatsexamen vor. «Dies sind Dinge, die nicht gut sind für die Sportler. Man will schließlich seine Chancen wahren», sagt Kirch. In Krakau, bei der Mannschafts-EM, gehört er wieder zum Team.

Wegen der Russland-Problematik gab es zuletzt mit den Olympia- und Perspektivkader-Athletinnen und Athleten eine Mannschaftsbesprechung. Das Ergebnis: «Wir wollen uns ab jetzt wieder stärker auf den Sport fokussieren. Alle waren sich einig, dass unsere volle Konzentration nun auf den Saisonhöhepunkten mit Einzel-EM, European Games und der WM innerhalb von zwei Monaten liegen muss», sagt Kirch.