Und dann kam der Schock: Missbrauchsaffäre überschattet EM
Rom (dpa) – Zum Abschluss einer sportlich-stimmungsvollen aber von der Missbrauchsaffäre im Wasserspringen überschatteten EM jubelte Freiwasserschwimmerin Leonie Beck über Gold in ihrer Wahlheimat.
Etwas wackelig auf den Beinen stapfte die 25-Jährige an den Strand von Lido di Ostia und reckte lächelnd den Zeigefinger nach oben. «Europameisterin ist etwas ganz Besonderes», sagte sie. Auch im Beckenschwimmen und beim Springen freuten sich deutsche Sportler in Italien über Gold. Im krassen Kontrast zu den sportlichen Erfolgen lösten die bekanntgewordenen Missbrauchsvorwürfe des ehemaligen Weltklasse-Wasserspringers Jan Hempel gegen seinen früheren Trainer im deutschen Team einen Schock aus.
«Man hat gesehen, dass ein Knick durch die Mannschaft ging», sagte der Leistungssportdirektor des Deutschen Schwimm-Verbands (DSV) Christian Hansmann am Sonntag. Den Sportlerinnen und Sportlern sei psychologische Hilfe angeboten worden.
Hempel macht Vorwürfe öffentlich
In einer Dokumentation der ARD spricht Hempel über Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs gegen seinen inzwischen gestorbenen früheren Trainer Werner Langer, von denen er 1997 der damaligen Bundestrainerin berichtet habe. Dem amtierenden Wassersprung-Bundestrainer Lutz Buschkow wird in dem Film vorgeworfen, er habe damals Kenntnis über die Vorwürfe gehabt. Der DSV stellte den 64-Jährigen in Rom frei, teilte jedoch auch mit, dass die bisherige Akteneinsicht keinerlei Anhaltspunkte ergeben habe, dass Hempels Vorwürfe gegen Buschkow zuträfen.
Nach Veröffentlichung der Dokumentation wurden dem DSV weitere Fälle gemeldet. «Immer noch kommen täglich Fälle dazu. Wie viele kann ich nicht sagen», sagte Hansmann.
Bevor die Vorwürfe bekanntwurden, prägte bei den Beckenschwimmern das Powerpaar Isabel Gose und Lukas Märtens die EM sportlich aus deutscher Sicht. Sie sorgten dafür, dass den Becken-Assen auch ohne Florian Wellbrock in Topform etwas gelang, was sie seit zehn Jahren nicht geschafft hatten. Zwei Goldmedaillen in Einzelrennen bei einer EM hatte es seit 2012 und den Zeiten von Paul Biedermann und Britta Steffen nicht mehr gegeben. Damals waren es sogar fünf Einzel-Goldmedaillen gewesen.
Gose holte bei den italienischen Festspielen mit Party-Stimmung auf den Tribünen am Freiluftbecken im Foro Italico einen kompletten Medaillensatz. Ihr Freund Märtens durfte Gold und Silber mit in die gemeinsame Wohnung nach Magdeburg nehmen. Insgesamt gab es zweimal Gold, zweimal Silber und viermal Bronze im Becken. Spartenübergreifend holten DSV-Athleten sechsmal Gold, zweimal Silber und siebenmal Bronze.
Die Leistungsträger außer der geschwächte Wellbrock lieferten. Mit vielen Schwimmern aus der zweiten Reihe, die sich gezielt auf die EM vorbereitet hatten, war Bundestrainer Bernd Berkhahn dagegen nicht zufrieden – «definitiv nicht», wie er betonte.
Wind und Wellen wirbeln Wettbewerb durcheinander
Weil Olympiasieger Wellbrock nach seiner Covid-19-Erkrankung im Juli auf die Freiwasserrennen verzichtete, fehlte dem deutschen Team im Meer vor Lido di Ostia der beste Mann. Beck sorgte mit ihrem Triumph über die olympischen zehn Kilometer dennoch dafür, dass die Nationalhymne bei der Siegerehrung erklang.
Für die Veranstalter liefen die Rennen anders als geplant. Zunächst konnten wegen Wind und hoher Wellen zwei Tage lang gar keine Wettbewerbe stattfinden. Am Samstag endete das 25-Kilometer-Rennen dann im Chaos: Die Bedingungen verschlechterten sich am Nachmittag so rapide, dass der Wettkampf abgebrochen wurde. Stundenlang war unklar, wie das Rennen gewertet wird. Schließlich annullierte der europäische Verband Len es komplett.
Im Wasserspringen freute sich Tina Punzel im Synchronspringen vom Drei-Meter-Brett mit Lena Hentschel und im Mixed aus gleicher Höhe mit Lou Massenberg über zwei Titel. Am Samstag bescherten die Schwestern Elena und Christina Wassen sich selbst, ihren Eltern und ihren Brüdern mit Bronze im Turm-Synchronspringen zudem einen besonderen Familienmoment. Auch ohne Rekordeuropameister Patrick Hausding, der seine Karriere beendet hat, gab es fünf Medaillen für das deutsche Sprungteam. Vollends überzeugte es allerdings nicht. Bei der EM-Premiere im High Diving mit spektakulären Sprüngen aus 20 Metern Höhe bejubelte Iris Schmidbauer Gold.